Ich erinnere mich gut daran, wie ich im August 2018 im Gespräch mit zwei potentiellen Auftraggebern war. Der eine wollte eigentlich mit mir zusammen arbeiten, hatte aber Bedenken aufgrund der Zeitverschiebung. Die andere Auftraggeberin war bereit, sich auf dieses Experiment einzulassen.
Ich fühlte mich unter Druck zu beweisen, dass die Zeitverschiebung kein Problem sein wird. Bei diesem Projekt war ich als externe Projektleiterin tätig und wirkte als Bindeglied zwischen Auftraggeberin und Agentur, um eine Kommunikation auf Augenhöhe zu ermöglichen. Die Agentur bevorzugte es, Meetings und Workshops vormittags durchzuführen, weil dann alle noch «frisch und aufnahmefähig» sind. Für die Meetings und Workshops stand ich deshalb regelmässig nachts um 2 Uhr auf, um mich via Skype zuzuschalten.
Während dieser Zeit wachte ich nachts oft zwischen 3 und 4 Uhr auf und checkte meine E-Mails, um zu überprüfen, ob alles rund lief in meiner alten Heimat und dass es keine digitalen Notfälle gab. Mit der Zeit gewann ich nämlich mehr neue Kunden aus der Schweiz und Deutschland, die offen waren für Remote-Work.
Anfang 2020 veränderte sich die Arbeitswelt zu meinen Gunsten, als aufgrund des Lockdowns plötzlich alle von Daheim aus arbeiten mussten. Dass ich nur nachmittags zu Schweizer Zeit verfügbar bin und dass Meetings online stattfinden, war plötzlich ganz normal.
Im Juni 2021 wurde meine Tochter Kayla geboren und stellte meinen Arbeitsrhythmus nochmals komplett auf den Kopf. In den ersten eineinhalb Jahren mit ihr arbeitete ich tagsüber, sobald sie schlief. Oft schlief sie in der Babytrage, während ich mich online mit Kundinnen und Kunden traf oder Accessibility-Kurse leitete. Meine Kolleg:innen bei «Zugang für alle» scherzen oft, dass sie wahrscheinlich selbst bereits eine Accessibility-Expertin ist.
Die Schlafphasen wurden mit der Zeit kürzer, so dass ich seit eineinhalb Jahren wieder mitten in der Nacht aufstehe, um Online-Kurse zu leiten oder für Calls mit Kunden. Das gibt mir die Möglichkeit, Kurse durchzuführen, aber auch die Gelassenheit, dass ich bereits ein paar Stunden gearbeitet habe, bevor meine Kleine überhaupt aufsteht. Wenn ich gelassen und zufrieden bin, ist auch meine Tochter automatisch zufriedener.
Wir haben einen guten Rhythmus gefunden, der für unsere ganze Familie stimmt. Und hier kommt die Wassermelone ins Spiel. Schon als ich noch in der Schweiz lebte, wollte ich immer einen eigenen Garten haben. Es gelang mir nie, erfolgreich etwas anzupflanzen und zu ernten. Immer kam etwas dazwischen. Dieses Jahr konnte ich erfolgreich ein Dutzend Wassermelonen ernten. Es braucht für den Garten nämlich gar keinen grünen Daumen – diesen habe ich nicht. Es braucht Zeit und vor allem einen passenden Zeitplan, um sich um die Pflanzen zu kümmern. Unsere tägliche Routine hat es mir ermöglicht, endlich etwas aus meinem eigenen Garten zu ernten.