Audio-Deskription: Mit Worten innere Bilder entstehen lassen

Barrierefreie Inhalte sollen mehr als einen Sinn ansprechen, damit sie auch für Menschen mit Behinderungen zugänglich sind. Bei Filmen zum Beispiel vermitteln Audiodeskriptionen dem blinden oder sehbehinderten Zuschauer, was im Bild zu sehen ist.

Franziska Arni ist Autorin für Audiodeskription und beantwortet in diesem Gastbeitrag die wichtigsten Fragen rund ums Thema Audiodeskription.

Audiodeskription, was ist das?

Der Begriff «Audiodeskription» (kurz AD genannt) steht für eine auditive Beschreibung von Sichtbarem. Eine Audiodeskription beinhaltet beispielsweise die Beschreibung von Handlungen, Aussehen von Personen und ihrer Mimik und Gestik, Landschaften, Gegenstände, Stimmungen, Farben und Geräusche.

In einer separaten Tonspur beschreibt die Audiodeskription in den Dialogpausen eines Werks, beispielsweise eines Films oder Theaterstücks, was zu sehen ist. Auch Musik, Gesang oder Geräusche werden stellenweise offengelassen. Die AD verändert das Werk nicht, weder greift sie vor noch erklärt sie es. Eine AD beschreibt aber möglichst synchron alles, was nötig ist, um nachzuvollziehen, was Kunstschaffende durch die Wahl ihrer Mittel mit ihrem Werk aussagen und beim Konsumenten bewirken wollen.

Wem nützt eine Audiodeskription?

Durch eine sorgfältige Wortwahl können beim Zuhörenden entsprechende innere Bilder entstehen.

Nach einer Studie des Schweizerischen Zentralverbandes des Blindenwesens von 2020 leben ungefähr 377’000 sehbehinderte und blinde Menschen in der Schweiz. Rund jeder 25. Mensch in der Schweiz ist demnach medizinisch sehbehindert. Davon ist nur ein kleiner Prozentsatz von Geburt an blind.

Das bedeutet, dass bei vielen noch ein kleines Restsehvermögen ist. Manche erinnern sich noch an Farben, Formen, Muster, Lichteffekte, Landschaften, typische Gesten und Mimik.

Eine AD ermöglicht es blinden und sehbehinderten Menschen, einer Handlung zu folgen, Geräusche zuzuordnen und sich gleichberechtigt Zugang zu Informationen zu verschaffen. Menschen mit einer Sehbehinderung können mit einer AD unabhängig von anderen an Kunst, Kultur und Bildung teilhaben.

Auch für Sehende stellt eine AD einen Mehrwert dar.

Beschriebene Filme eignen sich beispielsweise auch zum Sprach- und Wissenserwerbe – denn alles ist präzise beschrieben. Es werden Fachbegriffe genannte und gleichzeitig umschrieben.

Sehende Konsumenten erleben einen Perspektivenwechsel und profitieren von beschriebenen Details, die sie sonst vielleicht übersehen hätten. Bei einer Oper mit Übertiteln können sie sich einfach dem Musikgenuss hingeben und trotzdem der Aussage einer Arie folgen, weil die AD den Inhalt der Übertitel beschreibt.

Wie entsteht der Text für eine AD?

Autoren für Audiodeskription orientieren sich am Sprachstil des Werks. Die Beschreibung soll im Ohr der Zuhörenden nur ergänzend wirken und nicht durch ihre Wortwahl von der Handlung und der Stimmung ablenken.

Aus der Fülle der visuellen Informationen muss eine in sich stimmige, aussagekräftige und attraktiv wirkende Auswahl an handlungsrelevanten Elementen getroffen werden. Diese Elemente, beispielsweise verschiedene Gangarten und Körperhaltungen eines Protagonisten, unterschiedliche oder typische Landschaftsbilder und wichtige Gegenstände, lassen ein sehr genaues Bild beim Zuhörenden entstehen.

Es ist ein mehrschrittiger Prozess, bis ein Manuskript für die Aufnahme im Tonstudio bereit ist.

Idealerweise arbeiten am Manuskript gleich von Beginn an zwei Autorinnen oder Autoren, die dafür ausgebildet sind und wovon eine Autorin oder ein Autor sehbehindert oder blind ist.

Gemeinsam schauen sich die beiden den Film an und analysieren diesen. Sie recherchieren  weitere Informationen zu bestimmten Epochen, Orten, Landschaften, Gebäuden, Gegenständen und den Schauspielern.

Szene für Szene schauen sich die Autorinnen oder die Autoren den Film zusammen an. Die sehende Person beschreibt der blinden oder sehbehinderten Autorin, was in der Szene zu sehen ist. Die blinde Person stellt Rückfragen, damit das Team später eine Szene möglichst genau beschreiben kann, das Relevante erwähnt und so formuliert, dass für sehbehinderte und blinde Menschen ein stimmiger Zusammenhang des Ganzen entsteht.

Anschliessend wird der Text, möglichst synchron zur Handlung im Film, mit Hilfe der Timecodes in die Dialoglücken eingepasst.

Manchmal bleiben nur wenige Sekunden, um das Allernötigste zu beschreiben. Oder es kommt vor, dass wegen der mangelnden Sprechlücken die Autorin oder der Autor etwas Wichtiges an Information vorzieht oder nachreicht.

Hier lautet die Devise: «So viel wie nötig, so wenig wie möglich», vor allem deshalb, damit das Zuhören der AD eher beiläufig geschieht und für die Konsumenten angenehm natürlich und attraktiv, keinesfalls aber anstrengend wirkt. Eine gute Audiodeskription lädt zum Verweilen ein und vermittelt Lust auf mehr, auch für sehende Zuhörende.

Wenn jede Szene beschrieben ist, korrigiert ein Redaktor oder eine Redaktorin das Manuskript.

Danach kann die AD im Tonstudio von einer professionellen Sprecherin eingesprochen werden.

Diese neue Tonspur wird danach zu der Originaltonspur dazu gemischt.

Worauf kommt es beim Sprechen an?

Von den Auftraggebern erhalten die Autoren oft nur die Vorgabe, in welcher Sprache der AD Text verfasst sein soll. Die Hörfilmautoren bestimmen aufgrund der Sprechenden im Film, ob für die AD eine männliche oder eine weibliche Sprecherstimme passt.

Wie die Stimme genau klingen soll – also ob hoch, mittel, tief, warm, neutral, sachlich oder emotional wandelbar ­– entscheiden die Autorin und der Autor anhand des vorliegenden Filmmaterials.

Die Aufnahmen zum laufenden Film und die, mit Timecode versehene Textstellen, fordern von den Sprechenden einige Erfahrung und höchste Konzentration.

Welche Herausforderungen stellen sich dem Autorenteam?

Die grössten Herausforderungen an die Autoren von Audiodeskription stellen eine möglichst objektive Auswahl handlungsrelevanter Elemente und die oft nur sehr kurzen Sprechlücken des Werkes dar.

Denn je genauer etwas beschrieben werden kann, desto adäquatere innere Bilder und Stimmungen können aus dem Sichtbaren ins Hörbare übersetzt werden. Das Team muss also möglichst solche Worte wählen, die in einer hohen Sprachqualität das wiedergeben, was Sehende geniessen können.

Auch die Sensibilisierung der Institutionen, die mit der Produktion von Audiodeskription nicht vertraut sind, erfordert viel Aufklärungsarbeit.

Audiodeskription in der Schweiz

Bezüglich Angebote mit Audiodeskription im Kunst-und Kulturbereich, befindet sich die Schweiz in der Aufbauphase.

Das Schweizer Radio und Fernsehen erweitert das Angebot an Sendungen für Menschen mit einer Seh- oder Hörbehinderung bis 2022 auf 45’000 Stunden (80%). Das entspricht einem  Angebot von 900 Stunden audiodeskribierter Inhalte während der «Prime Time».

Im Bereich der darstellenden Kunst, wie beispielsweise Theater, Oper, Tanz, gibt es schweizweit derzeit erst wenige Häuser, die Aufführungen mit einer Audiodeskription anbieten. Dazu gehören: Das Opernhaus Zürich, das Theater Orchester Bern Solothurn TOBS, das Theater Basel, das Theaterspektakel Zürich, die Thunerseespiele.

Auch erste Museen bieten Audiodeskription an.

In der Schweiz gibt es viele Stellen, die sich darum bemühen, blinden und sehbehinderten Menschen einen barrierefreien Zugang zu Kunst und Kultur zu ermöglichen. Es bedarf aber ganz klar noch einiges an Öffentlichkeitsarbeit und Engagement, bis die Inklusion von sinnesbeeinträchtigten Menschen in unserer Gesellschaft zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist.

Über Franziska Arni und imagoscript

Porträtbild Franziska Arni

Franziska Arni ist Autorin für Audiodeskription und Gründerin von imagoscript. Sie hat unter anderem die Hörfilmfassung geschrieben für den Film «Von Fischen und Menschen» von Stefanie Klemm. Dieser Film hat kürzlich den «Opera Prima»-Preis an den Solothurner Filmtagen gewonnen.

3 Kommentare zu “Audio-Deskription: Mit Worten innere Bilder entstehen lassen

  1. Ich bin beeindruckt, wie viel Arbeit und Professionalität in Audiodiskription mit einfließen. Das war mir so nicht bewusst. Ein wenig wie Übersetzerinnen, denen auch viel zu selten genug Ehre und Lob zuteil kommt.
    Danke für diese Einsichten!
    Anne aka SEHHELDIN

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