Barrierefreiheit im Web: Definition, Behinderungen und Richtlinien

Barrierefreiheit im Web bedeutet, dass Websites und Applikationen für alle Menschen uneingeschränkt nutzbar sind, und zwar unabhängig von Alter und Behinderungen. Ich hörte vor bald zehn Jahren zum ersten Mal von Web-Barrierefreiheit, und auch heute noch begegne ich Vorurteilen. Noch immer sitzt in vielen Köpfen der Gedanke, dass barrierefreie Websites in der Praxis nicht umzusetzen sind, viel zu teuer sind und sowieso nur einer Minderheit dienen.

Meine Erfahrung in diesem Bereich zeigt, dass diese Vorurteile nicht zutreffen. Gleichzeitig weiss ich, dass mangelnde Barrierefreiheit nicht auf Ignoranz zurückzuführen ist, sondern auf mangelndes Wissen. Mit diesem Blogpost will ich einen Überblick geben und Wissenslücken schliessen.

Weshalb ist Web-Barrierefreiheit so wichtig?

Die WHO geht davon aus, dass 15 Prozent der Bevölkerung eine Behinderung hat. In der Schweiz ist davon die Rede, dass jede siebte Person eine Behinderung hat. Hinzu kommt, dass es vermehrt ältere Nutzerinnen und Nutzer – so genannte Silver Surfer – gibt, die altersbedingte Einschränkungen haben und somit ebenfalls von einem barrierefreien Webangebot profitieren.

Diese Gründe sprechen dafür, Web-Angebote und Applikationen für alle zugänglich zu machen:

  • Barrierefreie Angebote erreichen mehr Menschen, und somit auch mehr potenzielle Kunden.
  • Mit einem barrierefreien Angebot schliesst du niemanden aus und zeigst soziale Verantwortung.
  • Dies verbessert dein Image – was wiederum gut für das Geschäft ist.

Behinderungen im Web

Moderne Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT) ermöglichen Menschen mit Behinderungen eine Teilhabe an der heutigen Informationsgesellschaft. So ist es beispielsweise einem Blinden möglich, dank elektronisch verfügbarer Unterlagen ein Hochschulstudium zu absolvieren oder Behördengänge papierlos und ohne fremde Hilfe zu erledigen.

Gleichzeitig schaffen ICT neue Barrieren für Menschen mit Behinderungen – und zwar dann, wenn Webangebote oder Applikationen nicht barrierefrei sind. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn die Kontraste zwischen Text und Hintergrund nicht ausreichen und der Inhalt deshalb für Menschen mit Sehbehinderung schlecht oder gar nicht zu erkennen ist; oder wenn es für gesprochene Inhalte keine Alternative gibt, so dass Gehörlose diese nicht wahrnehmen können. Die Behinderungen im Web sind vielfältig und für Menschen ohne Behinderungen oft nicht auf Anhieb zu erkennen. Dass viele Websites nicht barrierefrei sind, liegt daher nicht etwa am bösen Willen oder an einer Gleichgültigkeit, sondern viel mehr an einem Unwissen. Zudem gibt es für barrierefreie Angebote keine Patentrezepte. Jede Site und jedes Angebot ist individuell und die Bedürfnisse der Nutzer mit Behinderungen sind sehr unterschiedlich. Diese Vielfältigkeit gilt es bei der Entwicklung eines barrierefreien Angebots zu berücksichtigen.

Technologische Hilfsmittel

Einen wesentlichen Beitrag zu einer behindertengerechten Technologienutzung leisten so genannte technologische Hilfsmittel. Die nachfolgende Auflistung gibt einen Überblick über die bekanntesten Hilfsmittel.

Screenreader

Blinde Benutzer setzen ein Bildschirmvorleseprogramm beziehungsweise einen Screenreader ein. Wie es der Name bereits verrät, liest dieses Programm den Bildschirminhalt vor. Der bekannteste Screenreader ist der kostenpflichtige Reader «JAWS» von Freedom Scientific. In den letzten Jahren hat sich jedoch auch der kostenlose Reader NVDA als gleichwertige Alternative bewährt. JAWS und NVDA funktionieren nur mit dem Betriebssystem Windows. Für Apple-Benutzer gibt es den bereits im System integrierten Screenreader «VoiceOver». Obwohl es Alternativen gibt zum eher teuren (aber zumindest von der Invalidenversicherung finanzierten) JAWS, können die meisten blinden Anwender nicht auf JAWS verzichten, weil dieser gerade im Zusammenspiel mit den gebräuchlichsten Programmen wie Microsoft Office wesentlich besser funktioniert als NVDA oder VoiceOver.

Braillezeile

Viele blinde Anwender setzen als zusätzliches Ausgabegerät die Braillezeile an. Die Braillezeile gibt den Inhalt in Brailleschrift aus. Die Braillezeile erlaubt es, den Inhalt buchstabenweise zu ertasten, was beispielsweise beim Korrigieren eines Textes wichtig ist.

Bildschirmvergrösserung

Anwender mit einer Sehbehinderung setzen Bildschirmvergrösserungsprogramme ein, die eine für den Benutzer beste
Vergrösserung des gesamten Inhalts ermöglichen. Auch individuelle Farb- und Kontrasteinstellungen sind damit möglich. Ein bekanntes Programm ist «ZoomText», welches sich auch in Kombination mit einem Screenreader einsetzen oder mit einer eigenen Sprachausgabe verwenden lässt.

Alternative Eingabegeräte und Sprachsoftware

Anwender mit einer motorischen Behinderung können oftmals die gewöhnliche Computermaus oder Tastatur nicht verwenden. Deswegen gibt es alternative Eingabegeräte wie beispielsweise die Mundmaus, Software für Bedienung über die Augen, Sprachsteuerung oder Grosstasten-Tastaturen. Eine wesentliche Erleichterung bei der Eingabe von Texten ermöglichen zudem Speech-to-text-Programme, die gesprochene Sprache in Text umwandeln.

Rechtliche Grundlagen

Art. 8 der Bundesverfassung

Art. 8 Rechtsgleichheit der Bundesverfassung besagt: «Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung.»

Behindertengleichstellungsgesetz

In der Schweiz ist zudem seit 2004 das Behindertengleichstellungsgesetz BehiG in Kraft. Das Gesetz hat zum Zweck, Benachteiligungen zu verhindern, zu verringern oder zu beseitigen, denen Menschen mit Behinderungen ausgesetzt sind.

Das BehiG setzt Rahmenbedingungen, die es Menschen mit Behinderungen erleichtern, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und soziale Kontakte zu pflegen, sich aus- und fortzubilden und eine Erwerbstätigkeit auszuüben.

UNO-Behindertenrechtskonvention

Im April 2014 hat die Schweiz die UNO-Behindertenrechtskonvention ratifiziert. Die Konvention ist im Mai 2014 für die Schweiz in Kraft getreten.

Richtlinien und Standards

Web Content Accessibility
Guidelines WCAG 2.0

Wann gilt ein Webangebot als barrierefrei? Hierfür hat das World Wide Web Consortium W3C die Web Content Accessibility Guidelines WCAG 2.0 erstellt. Die WCAG 2.0 sind mehrstufig aufgebaut. Auf der höchsten Ebene stehen die Prinzipien Wahrnehmbar, Bedienbar, Verständlich und Robust unterteilt. Darunter stehen die zwölf Richtlinien, welche die wichtigsten Ziele für Entwickler und Autoren festlegen. Für jede Richtlinie gibt es testbare Erfolgskriterien, um zu beurteilen, ob die Ziele erfüllt werden.

Für die WCAG 2.0 gibt es zudem drei verschiedene Konformitätsstufen: Die Stufe A mit den niedrigsten, die Stufe AA sowie die Stufe AAA mit den höchsten Anforderungen. Sämtliche Erfolgskriterien sind einer Konformitätsstufe zugeordnet.

WCAG 2.1

Im Juni 2018 wurden die WCAG 2.1 veröffentlicht. Hierbei handelt es sich um Ergänzungen zu den bereits bestehenden Web Content Accessibility Guidelines WCAG 2.0. Hier geht es zu einem Überblick über die neuen Erfolgskriterien der WCAG 2.1.

Und was bedeutet das für dich im Alltag?

Barrierefreiheit lohnt sich und muss nicht teuer sein. Wichtig dabei ist, dass du dich schon zu Beginn deines nächsten Projektes mit den Anforderungen befasst. Gerne unterstütze ich dich dabei, deine Projektpartner entsprechend zu briefen. Ich freue mich auf deine Kontaktaufnahme.

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