Eine erste Hürde war bereits die Anmeldung zum Studium. Die Hochschule brauchte eine beglaubigte Kopie meines Maturazeugnisses. Als ich mich für das Studium entschied, war ich gerade in den USA. Das Maturazeugnis ist in einer Kiste im Haus meiner Eltern. Rasch bei meiner früheren Schule ein Duplikat anfordern, eine Kopie vom Duplikat machen, vom deutschen Honorarkonsul in Philadelphia beglaubigen lassen und dann ab die Post mit allen weiteren Anmeldeunterlagen. Zumindest liess die Immatrikulationsbestätigung nicht lange auf sich warten. Die erste Buchlieferung hingegen erhielt ich erst zwei Monate später, weil das Paket in der Paketsortierstelle in Jersey City, New Jersey, liegen blieb.
Autocomplete und Grammarly sind Fluch und Segen
Natürlich könnte ich auch einfach die Bücher beziehungsweise die AKAD-Studienbriefe als PDF herunterladen und auf meinem iPad lesen. Ich lerne aber am besten, wenn ich physisch etwas anstreiche und Übungen löse. Autocomplete beim Nachrichtenschreiben oder Tools wie Grammarly sind ein Segen, doch beobachte ich bei mir selbst und auch bei anderen, dass wir Mühe haben, fehlerfrei und schön von Hand zu schreiben. Fehlerfrei tippen ohne Hilfsmittel ist aber Voraussetzung für die schriftlichen Prüfungen, weshalb mir das Schreiben von Hand ganz guttut.
Flexible und ortsunabhängige Prüfungen – zumindest theoretisch
Die Prüfungen im Fernstudium sind ein Thema für sich. Obwohl das Fernstudium Flexibilität und Ortsunabhängigkeit verspricht, so sind mir doch Grenzen gesetzt. Die guten News: Ab sofort kann ich alle Prüfungen online schreiben. Bis vor kurzem hätte ich entweder nach Stuttgart oder an einen anderen Prüfungsstandort reisen müssen. Oder ich hätte die Prüfung in einem Goethe-Institut im Ausland schreiben können, was mehr kostet. Neu kann ich die Online-Prüfungen bequem von überall aus ablegen. So zumindest die Theorie.
Bequem heisst in meinem Fall mitten in der Nacht
Von den vier Prüfungen in diesem Semester muss ich mich bei dreien für einen vorgegebenen Prüfungstermin einschreiben. Diese Prüfungen finden an einem Samstag statt im Februar oder März, um 8, 9 oder 10 Uhr morgens. Mitteleuropäische Zeit, wohlgemerkt. Das bedeutet für mich nachts um 2, 3 oder 4 Uhr. Von «bequem und flexibel» keine Spur, da die Daten vorgegeben sind.
Sofortklausur dank Examity
Nur in einem Modul kann ich eine Sofort-Online-Klausur schreiben. Das heisst, ich kann mich tatsächlich dann für die Prüfung anmelden, wenn ich mich bereit und vorbereitet fühle. Möglich macht dies Examity, eine im US-Staat Massachusetts ansässige Firma. Examity bietet eine Online-Klausuraufsicht an, die 24/7 zur Verfügung steht. Die Online-Prüfung erfolgt über die Plattform Cirrus. Via GoToMeeting überwacht die Klausuraufsicht meinen Bildschirm und mich.
Um die Prüfung online ablegen zu können, gibt es einige Vorgaben und Verhaltensregeln.
- Mein Pult muss leergeräumt sein.
- Im selben Raum darf sich kein prüfungsrelevantes Material befinden.
- Ich darf keinen zweiten Bildschirm anschliessen.
- Im Prüfungsraum darf es keine Hintergrundgeräusche geben.
- Vor der Prüfung muss ich mit einem Kameraschwenk den ganzen Raum zeigen.
- Kommt es zu einem Verbindungsabbruch von länger als einer Minute, gilt die Online-Klausur als Nicht-Bestanden. Es sei denn, ich kann beweisen, dass ich den Verbindungsabbruch nicht vorsätzlich herbeigeführt habe und nicht dafür verantwortlich bin.
Chancen der Digitalisierung
Die Online-Prüfungen, die pro Modul viermal im Jahr stattfinden, sind nicht unbedingt das, was ich unter «flexibel und ortsunabhängig» verstehe. Auch wirken die Anforderungen bei der Sofort-Online-Klausur realitätsfremd. Leergeräumter Arbeitsplatz. Keine Nachschlagewerke. Keine Hilfsmittel. Ja, die Prüfungen dienen dazu, das Wissen und Können abzufragen. Doch Hand aufs Herz: Selbst die besten Experten in ihrem Fach nutzen Nachschlagewerke und andere Ressourcen. Das Prüfungs-Setup entspricht nicht dem Berufsalltag.
Trotz dieser Einschränkungen, was die Flexibilität angeht, sehe ich im Online-Studium Chancen sowohl für die Hochschulen, als auch für Studierende. Stell dir vor, du kannst studieren, was du willst, ganz egal, wo die Uni ist. Ganz egal, wo du lebst. Und auch ganz egal, ob du eine Behinderung hast. Ich glaube an die Digitalisierung des Hochschulstudiums und an barrierefreie Hochschulen.